Montag, 26.11.2018
Busfahrer deckt im O-Ton massives System der Manipulation von Lenkzeiten und Arbeiterausbeutung durch Busunternehmer auf, was auch die Polizei schockiert: "Das, was ich jetzt gehört habe, erstaunt mich und macht mich fassungslos!" - Wenig später ertappter Kollege pflichtet ihm bei und kündigt, weil er nicht mehr 16 Stunden am Stück arbeiten will - Ausländische Fahrer verlieren Überblick im Dokumentenwust und kommen nur knapp um Strafe herum - Konversation mit Ausländern laufen über Übersetzungs-App - Busfahrer versteckt Tabak im provisorischen Schlafabteil, muss hohe Geldstrafe zahlen und erwartet Ermittlungsverfahren - Vor allem Fahrten ohne Fahrerkarte nehmen zu - Fast kein Bus ohne Mangel, Polizei spricht von erschreckenden Ergebnissen - Wir haben die mehrstündige Kontrolle ausführlich und reportagig begleitet und sämtliche Fälle on tape mit Tönen
Tagtäglich nutzen tausende Menschen Fernreisebusse, um gemütlich und entspannt sich auf den Weg zur ihrem weiter entfernen Arbeitsort zu begeben, eine Kurzreise anzutreten oder - wie jetzt in der beginnenden Adventszeit - ihren Familien einen Besuch abzustatten. Die Zahl der grünen, gelben oder auch schlicht in weiß gehaltenen Busse auf Deutschlands Straßen steigt immer mehr. Doch auch die Berichte über Lenkzeit-Verstöße oder gar schwere Unfälle reißen nicht ab. Grund genug für die Hannover Polizei, diesen Fernlinien auf den Zahn zu fühlen. In der Vergangenheit war der Trend dabei immer positiver und die Beanstandungen nahmen grundsätzlich ab, wie Pierre Fourmont und Sascha Mrongovius erzählen. Doch zum Ende ihrer Kontrolle am vergangenen Freitag (23.11.2018) werden sie dieses Mal von einem "schwarzen Tag" reden müssen.
Als erstes prüfen die erfahrenen Beamten einen Reisebus aus Bulgarien. Beide Fahrer erzählen, dass sie zuletzt Urlaub hatten, was auf ihren Fahrzeitkarten ersichtlich sein müsste. Doch Sascha Mrongovius entdeckt nur Leerzeiten ohne Freizeitangaben. Ein bekanntes Phänomen: "Es kann sein, dass er gefahren ist, aber es auf seiner Karte eingetragen hat. Aber nur dann ist aber eine lückenlose Dokumentation möglich." Um die Sprachbarriere zu überwinden, bedient sich der auf Busse spezialisierte Polizist eines einfachen Tricks. Mittels Smartphone und Übersetzungs-App macht er den beiden Fahrern deutlich, welche Urlaubsdokumente er braucht und plötzlich geht alles ganz schnell. "Das wundert mich immer. Das Dokument rücken sie immer erst raus, wenn man ihnen sagt, dass sie vielleicht gefahren sind", schüttelt er den Kopf und hat letztendlich gute Nachrichten für die beiden Bulgaren, die um eine Strafe herum kommen. Anders sieht es für ihren Arbeitgeber aus. Da der Polizist mehrere Touren aufgedeckt hat, bei denen der Bus bewegt wurde, aber keine Fahrerkarte eingesteckt war, muss die Firma nun mit unliebsamer Post rechnen. Diese Vergehen werde auch im Ausland zunehmend verfolgt, wie Mrongovius lobend erwähnt.
Was sein Kollege Pierre Fourmont zur gleichen Zeit erlebt, lässt beiden Polizisten kurz darauf fast die Sprache verschlagen. Der als Busfahrer tätige Lamouchi kommt zu Fuß an der Prüfstelle vorbei und erkennt den Polizeibeamten von einer früheren Kontrolle. Im Gespräch erzählt er, dass er sich gegen seinen Arbeitnehmer aufgelehnt habe, weil er regelmäßig bis zu 16 Stunden pro Tag unterwegs war und sich Angst um seine Gesundheit mache. Als er auf Ratschlag seines Firmenchefs zum Arzt ging und sich krankschreiben ließ, folgte die fristlose Kündigung. "Ich konnte nicht mehr und habe fast am Lenkrad geschlafen. Ich hätte nicht geglaubt, dass das ginge, aber irgendwann fielen die Augen einfach zu", erklärt Lamouchi und führt auch aus, wie das System der Trickserei an den Behörden vorbei gelingen konnte. So pendelte er jeden Morgen zum Busunternehmen und setzte sich hier in ein Auto, mit dem er weiter zu einer fast Dreiviertelstunde entfernten Tankstelle fuhr. Erst hier stieg er in seinen Bus, fuhr mit ihm fünf Stunden zum ersten Ziel, machte seine Pause, rollte zurück und stieg wieder in das bereitstehende Auto. 15 Stunden hinter dem Lenkrad und mehr waren die Regel. "Das, was ich jetzt gehört habe, erstaunt mich schon und macht mich auch fassungslos. Die Autofahrt gilt auch als Fahrzeit, aber wir können es nicht prüfen, weil es nicht auf der Fahrerkarte steht", beschreibt Fourmont das Problem. Und es kommt noch dicker. Regelmäßig würde das bereits polizeibekannte Unternehmen billige Fahrer aus Serbien nach Deutschland lotsen, wo sie in engen Containern hausen müssten. Jedes halbe Jahr wechseln sie dabei durch, was eine staatliche Überprüfung erschwere. "Der erste Gedanke ist, dass da was nicht stimmt", so Fourmont, der sich sicher ist, dass das Gewerbeaufsichtsamt deshalb bald in der Unternehmenszentrale anklopfen werde.
Gestützt wird diese Annahme nur wenige Momente später, als ein weiterer Fahrer der Firma kontrolliert wird und er den Polizisten mitteilt, dass es sein letzter Arbeitstag sei und er morgen aufgrund der Bedingungen dort kündigen werde. Ein Verhalten, das Sascha Mrongovius sehr bezeichnend findet, da es auch zeige, wie die Zustände immer unmenschlicher werden.
Dass so mancher osteuropäischer Fahrer sich aufgrund des Lohndumpings anders ein Zubrot verdienen will, zeigt sich beim Zoll, der den Gepäckraum eines Fernbusses aus Estland durchleuchtet. Hinter einer Wand zum Kofferfach war hier ein provisorischer Schlafraum eingerichtet, in dem sich fast 250 Kilogramm Shisha-Tabak in mehreren Kartons versteckt findet. Ein Fund, der laut Zoll-Sprecher Oliver Keuck alles andere als alltäglich sei. Geld werde der Fahrer nun jedoch nicht verdienen, sondern vielmehr verlieren. Rund 10.000 Euro nachträgliche Tabak- zuzüglich Einkommenssteuer und Zollgebühr werden für die Ware fällig, die zudem zerstört wird. Auch ein Strafverfahren der Staatsanwaltschaft wird wohl folgen.
Keine Schmuggelware im Gepäckraum, dafür einen tiefen Riss im Reifen hatte ein weiterer Fahrer aus Deutschland. Bis auf die Karkasse war der Schaden sichtbar, was gravierende Folgen gehabt hätte. So wäre es nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis sich das Rad in seine Einzelteile aufgelöst hätte. Vor den Augen der wartenden Fahrgäste rückte daher auf Polizeiweisung ein Werkstattwagen an, der vor Ort das Rad wechselte, ehe die Fahrt weitergehen konnte.
Nicht immer muss ein Vergehen jedoch eine Strafe zur Folge haben, wie Valdemar Sperling erfahren durfte. Weil er im Stau stand, war er drei Minuten über seiner erlaubten Fahrzeit am Busbahnhof in Hannover eingetroffen. Eigentlich hätte er deshalb vorher 45 Minuten Pause machen müssen, doch der Servicegedanke für seine 54 Fahrgäste war ihm wichtiger. Als er von der Polizei kontrolliert wurde, machte er aus seinem Fehlverhalten keinen Hehl und teilte den Beamten dies sofort mit. Und diese ließen dann auch Gnade vor Recht ergehen. "Wenn man so schon ehrlich ist und ohne nachzufragen zu uns kommt und sagt, wie es gewesen ist, dann werden wir das nicht verfolgen", so Fourmont. Eigentlich sei so ein Verhalten bei den meisten Fahrern auch die Regel.
Insgesamt 18 Busse und 23 Busfahrer überprüften die Beamten der Spezialisierten Verfügungseinheit sowie der Zoll am Freitag binnen fünfeinhalb Stunden. Die Ergebnisse sind erschreckend: In 16 Fällen wurden die Busse ohne erforderliche Fahrerkarte betrieben, 23 Fälle von missachter Sozialvorschriften wurden aufgedeckt. Entsprechend ernüchtert fällt das Fazit der Polizisten aus. "Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch und sehe nicht nur das Schlechte. Aber der heutige Tag war ein schwarzer Tag", fasst es Mrongovius zusammen. Viele Verstößen seien festgestellt worden, doch die Fahrer seien dabei nur das kleinste Licht in der Kette, weshalb er einen Appell an die Unternehmer richte: "Alle wollen immer günstigere Preise, aber das darf niemals zulasten der Fahrer und der Fahrgäste gehen!"