Donnerstag, 21.02.2019, 06:53 Uhr
Landesdatenschutzbeauftragte fordert ebenfalls sofortige Einstellung der Kontrollen - Meinungen bei Autofahrern gemischt - Land räumt in Stellungnahme fehlenden Rechtsrahmen ein, erklärt aber, dass dieser bei einem solchen Pilotprojekt nicht notwendig sei
Die Bundesstraße 6 zwischen Rethen und Gleidingen ist einer der Verkehrsknotenpunkte in der Region Hannover. Tagtäglich rollen hier tausende Autos über die Straßen, rund 5,5 Millionen sind es pro Jahr. Seit Januar werden sie dabei beobachtet und sogar fotografiert. Denn auf dem zwei Kilometer lange Stück wurde Deutschlands erste Abschnittskontrolle "Section Control" installiert.
Jeder Verkehrsteilnehmer wird dabei bei Einfahrt aufgezeichnet und die Zeit bis zu seinem Verlassen der Anlage gemessen. Ist er dabei schneller als die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit unterwegs gewesen, lösen die Blitzer aus. Fuhr er vorschriftsmäßig, so werden die Daten gelöscht. Dies behauptet zumindest das Land Niedersachsen. Doch Verkehrsanwalt Arne Ritter befürchtet da anderes: "Es gibt keine Rechtsgrundlage und obwohl man das weiß, hat man das Gerät eingeschaltet, um Kasse auf Kosten der Bürger zu machen". So habe das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2018 geurteilt, dass das Aufzeichnen von unbescholtenen Bürgern ohne einen Anfangsverdacht gegen das Grundgesetz verstoße. Genau das werde jedoch auf der Bundesstraße 6 nun getan. Die Landesdatenschutzbeauftragte Niedersachsens habe deswegen auch sofort für einen Stopp der Messungen plädiert - wird jedoch nicht gehört.
Bereits bei der Planung habe das Land gewusst, dass es ohne rechtliches Fundament handeln würde. Doch es wurde versäumt, dieses zu schaffen. Und dennoch habe Innenminister Boris Pistorius (SPD) mit großem Medienecho die Anlage in Betrieb genommen. Damit sei einem Missbrauch aber Tür und Tor geöffnet worden. "Wer sagt uns denn, dass irgendwann bei einem einheitlichen Tempolimit nicht an jeder Auf- und Abfahrt so eine Station steht und dazwischen eine Totalüberwachung stattfindet", gibt Ritter zu Bedenken. Anders als in Österreich sei das deutsche Gesetz für eine Abschnittskontrolle noch nicht ausgelegt, sodass es keinen Überwacher des Wächters gebe.
Das Land Niedersachsen sieht die Sache anders gelagert. Man sei sich sehr wohl bewusst, dass es aktuell noch keine rechtliche Grundlage gebe. Dies sei aber auch nicht notwendig, weil es sich derzeit noch um ein Pilotprojekt handle, wofür die polizeiliche Generalklausel herangezogen werden könne, heißt es in einer Stellungnahme des Innenministeriums. Eine Antwort, die Anwalt Ritter nicht teilen kann, weshalb er jetzt Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover eingereicht hat.
Die betroffenen Autofahrer haben derweil keine einheitliche Meinung. Sie alle befürchten, dass der Datenschutz hier möglicherweise aufgeweicht werde, doch auf der anderen Seite halten sie die Verkehrsüberwachung für ein wichtiges Instrument. "Ich finde es richtig, dass sich jemand Gedanken macht, was mit den Daten passiert. Aber finde es in dem Zweck nicht verkehrt, wenn sie nur für den Streckenabschnitt erhoben werden", erklärt Autofahrer Sebastian Grondey. Anderer Meinung ist Peter Oelze: "Finde das überhaupt nicht in Ordnung, da wird ja jeder vorverurteilt und wir wissen nicht, was die mit den Daten machen!" Sarah Matula hingegen findet, dass die Menschen sowieso in Zeiten von Facebook und Co. viel zu leichtgläubig mit ihren Daten umgehen, sodass sich im Fall der "Section Control" niemand beschweren dürfe.
Anwalt und Kläger Arne Ritter stellt dabei klar: "Ich bin ein großer Fan der Verkehrsüberwachung. Schon allein, weil ich ein Verteidiger bei Verstößen bin und je mehr es davon gibt, desto mehr habe ich zu tun." Doch würden täglich 15.000 Menschen durch die Kontrolle fahren, wovon sich die große Mehrheit rechtskonform verhalte. Und dennoch würden alle in ihren Grundrechten verletzt werden. Ein Zustand, den er nun schnellstmöglich ändern und zur Not stoppen möchte.
UPDATE:
Rechtsanwalt Ritter rät allen geblitzten Autofahrern sich rechtzeitig zu wehren und Einspruch gegen ihren Bescheid einzulegen. Sollte er mit seiner Klage erfolgreich sein, dann dürften die Bußgeldbescheide ebenfalls keine Rechtsgrundlage haben.