Meldung 2712

Dienstag, 24.11.2020

aktuell24
Der Schilderwald von Wettbergen:

In Hannoveraner Neubaugebiet finden sich auf 200 Meter Wegstrecke über 40 Schilder - Einbahnstraße, Vorfahrt gewähren, 30er Zone und Spielstraße sorgen für mehr Irritation als klare Regeln - Autofahrer halten sich trotz Schilderwust teilweise nicht an die Regeln - Anwohner sind teils genervt, Besucher dafür angesichts Verkehrszeichenflut irritiert

Anwohner halten Schilderwald überwiegend für eine Fehlplanung: "Das brauchen wir hier nicht." - Stadt verweist auf haftungsrechtliche Konsequenzen bei Nicht-Montage - Wir haben die eindrucksvolle Schildergestaltung dokumentiert - Mehrere Anwohner O-Töne sowie Statement von der Stadt - Drohnenaufnahmen unterstreichen Ausmaß der bürokratischen Regelung

Die Wälder und Wiesen rund um Riecklingen sind ein beliebtes Naherholungsgebiet im Süd-Westen von Hannover. Doch auch im benachbarten Stadtteil Wettbergen befindet sich ein Wald - allerdings von zweifelhaftem Ruhm und geringer Erholung. Denn im dortigen Neubaugebiet macht ein Schilderwald von sich reden. Auf der rund 200 Meter langen Wegstrecke vorbei an Mehrfamilien- und Einfamilienhäuser finden sich nicht weniger als mindestens 40 Verkehrszeichen.

Einbahnstraße, Einbahnstraße rechtsweisend, Spielstraße, 30er Zone, Vorfahrt gewähren, Vorfahrt an nächster Einmündung und dazwischen noch ein begrenzender Grünstreifen. Vor allem Auswärtigen kann es da schon einmal schwindelig bei der Orientierung werden.

Wer in das Wohngebiet hineinfährt, wird mit einer 30er Zone begrüßt. Möchte er von der Erschließungsstraße in eine Seitenstraße abbiegen, landet in einer Spielstraße. Bei dieser gilt gemäß Straßenverkehrsordnung normalerweise rechts vor links. Doch laut Stadt wären die Einmündungsbereiche nicht rechtzeitig wahrnehmbar, weshalb vor jede Abzweigung ein "Vorfahrt gewähren" sowie ein "Vorfahrt an nächster Einmündung"-Schild aufgehangen wurde. Aufgrund des Grünstreifens als Fahrbahnteiler bedarf es zudem ein "Einbahnstraßen rechtsweisend" aus jeder Spielstraße zurück auf die Erschließungsstraße. Und für die besonders Ignoranten weisen zusätzliche Einbahnstraßenschilder explizit auf die Verkehrsführung hin.

Ein Schildbürgerstreich, wie auch viele Anwohner meinen. "Es ist optisch nicht wirklich schön, wenn man die Straße hochschaut. Wir sehen das hier als Fehlplanung", meint Katja Walter. Ähnlich sieht es Stefanie Kondla: "Das ist die Stadt Hannover, die will es ganz ordentlich und genau haben. Eigentlich reichen die Spielstraßen-Schilder, denn da sollte jeder wissen, dass da rechts vor links gilt und man die Vorfahrt beachten muss." Interessanterweise war die Situation anfangs anders gelöst und später verschlimmbessert worden. "Am Anfang war ein großes Schild am Eingang der Straße. Der richtige Zustand war da, ehe man diesen sehr exklusiven Zustand hergestellt hat", erinnert sich Martin Rössig. Doch es gibt auch Fürsprecher, wie beispielsweise Heidi Minuth: "Verstehen kann ich es, denn die Straße ist sehr sicher geworden." Eine Logik vermisst sie allerdings dennoch: "Irgendwer muss es konzipiert und umgesetzt haben. Am wenigsten werden wir Bürger da gefragt." Und ihr Nachbar Bernd Gölter nimmt es mit Humor: "Ich fand den Begriff des Kunstobjekts schön. Das lasse ich mir hier gerne dann gefallen."

Für viele steht fest, dass die aufwändige Beschilderung etwas zu viel des Guten ist und geändert werden sollte. Die Stadtverwaltung argumentiert jedoch, dass es aufgrund der schlechten Einsehbarkeit beispielsweise der "Vorfahrt gewähren"-Schilder dringend befarf, da es bei einer "Rechts vor links"-Regelung zu gefährlichen Situationen kommen könnte. Dass jedoch kaum Verkehr herrscht, der sich begegnen könnte, wird weniger kommuniziert. Statt sich mit 30er Zone und Spielstraße abzuwechseln, wäre auch eine grundsätzliche Deklarierung als Spielstraße mit automatischer "Rechts vor links"-Regelung von Beginn möglich, behaupten viele Nachbarn. Ein weiterer Vorteil: "Die offizielle 30er-Zone ist fast schon zu schnell", wie Anwohner Bernd Gölter glaubt. Somit könnten auch die Kinder sicherer spielen.

Doch auch für die Einbahnstraßen-Beschilderung gebe es laut Stadt einen guten Grund: "Die (zusätzliche) Negativbeschilderung (...) wird in allen relevanten Vorschriften als Standardbeschilderung aus Gründen der Eindeutigkeit und Rechtssicherheit empfohlen", heißt es in einem Schreiben an die Redaktion. Freilich nötig wäre sie jedoch nicht gewesen, denn bereits das Schild "Einbahnstraße rechtsweisend" gibt normalerweise die Richtung vor. Doch aufgrund möglicher haftungsrechtlichen Konsequenzen sah die Verwaltung keine andere Handhabe.

Dennoch kürzen so manche Anwohner ihren Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen verbotenerweise ab. Denn aufgrund des Grünstreifens, der zur Entwässerung angelegt wurde, müsste er sonst je nach Wohnort eine komplette Runde durch das Wohngebiet drehen müssten, um zur Hauptverkehrsstraße zu gelangen. "Wenn man aus den Straßen rauskommt und erst einmal den Bogen fahren muss, bevor man auf die Einbahnstraße gelangt, dann macht das keinen Spaß, das mehrmals täglich machen zu müssen", findet Walter.

Und so stellt sich einmal mehr die Frage, ob bürokratisch korrekt auch wirklich immer menschlich logisch bedeuten muss. Die meisten Anwohner haben hierzu zumindest eine eindeutige Meinung: "Besucher, die hier herkommen, sind verwirrt und überfordert, um das regelkonform einzuhalten. Das brauchen wir hier nicht!"