Meldung 2863

Donnerstag, 08.12.2022, 0:00 Uhr

aktuell24
Moderne Autoknacker live on tape:

Unbekannter versucht nachts "Keyless Go"-Signal von Autoschlüssel abzugreifen, um damit geparktes Auto zu öffnen und zu stehlen - Überwachungskamera von Stefan Wagner filmt die gesamte Tat - ADAC warnt vor dem System: Bei einem großen Test im Herbst mit 530 Fahrzeugen fielen 95 Prozent gnadenlos durch

Nur glücklichem Umstand ist es zu verdanken, dass der Diebstahl in diesem Fall scheiterte - Kriminelle waren in gleicher Nacht in Nachbarstadt dennoch erfolgreich und stahlen hochwertigen Audi; weiterer Vorfall zwei Tage später - Automobilclub sieht dringenden Handlungsbedarf bei den Herstellern - Straßenumfrage zeigt, dass viele Menschen vorsichtig, aber sich den Risiken nicht vollumfänglich bewusst sind - Wir haben mit ausführlich mit dem Betroffenen Stefan Wagner sowie dem ADAC Niedersachsen zu der Thematik gedreht - Überwachungsvideo ebenfalls verfügbar

Es ist vergangene Montagnacht, 1:26 Uhr. Stefan Wagner und seine Familie liegen in ihren Betten und schlafen tief und fest. Vermutlich kann man schon fast von Glück sprechen, dass sie nicht bemerken, was vor ihrem Haus passiert. Ein Mann, komplett maskiert, tritt vor das Gebäude. In der einen Hand hält er ein Kabel, in der anderen ein kleines Gerät. Mehrfach steht er auffällig nah an der Hauswand und bewegt den Arm hoch und runter. Dann läuft er in den Garten und versucht dort sein Glück. Fünfeinhalb Minuten agiert er so, ehe er in der Dunkelheit verschwindet. Aufgezeichnet wird der gesamte Vorgang von Überwachungskameras, die der Hausbesitzer installiert hatte.

Stefan Wagner bekommt von den Geschehnissen erst am nächsten Morgen etwas mit, als er auf die Benachrichtigungen am Handy schaut: "Ich war schockiert und wusste nicht, was ich davon halten soll. Ich finde es sehr dreist, dass man sich so lange unbemerkt aufhalten kann." Ihm ist sofort klar, dass der Täter nach einem Funksignal des so genannten Keyless Go-Systems suchte. Eine Ausstattung, über die viele moderne Autos verfügen und mit der es möglich ist, ohne Schlüssel in der Hand den Wagen auf- bzw. abzuschließen und zu starten. Ein komfortables System, wenn es so genutzt wird, wie es soll. Aber auch Ganoven versuchen dieses immer mehr für ihre Zwecke zu nutzen. "Die kommen vor dein Haus, fischen das Signal ab und verschwinden", erzählt er.

Doch bei ihm haben die Autoknacker Pech, da Wagner selbst einen älteren Seat ohne das System fährt. Er vermutet, dass es die Räuber auf den Audi des Nachbarn abgesehen hatten, der das neue Fahrzeug auf der Straße geparkt hatte. So war nicht ersichtlich, zu welchem Haus der Wagen gehört und die Langfinger musste sich auf die Suche begeben.

Auch wenn in diesem Fall die Kriminellen scheiterten, ist die Zahl der Diebstähle aufgrund dieses Systems nicht gering. Kein Wunder, wie der ADAC bei einem Test im Herbst herausgefunden hat. "Von 530 getesteten Fahrzeugen verfügten lediglich 5 Prozent über ein System, was das Auto schützt", legt ADAC Niedersachsen-Sprecherin Alexandra Kruse die traurigen Fakten auf den Tisch. Nach wie vor würden die Gefahren des Keyless Go-Diebstahls von den Herstellern unter den Tisch gekehrt werden. "Die Autohersteller müssen dringend nachbessern in dem Bereich, damit sich die Verbraucher auf die sichere Funktion verlassen können", fordert Kruse. 

Für lediglich 100 Euro könnten Kriminelle alle Komponenten im Netz kaufen, um die Autos zu knacken. "Und wird ein Auto auf diese Weise geklaut, könnten die Täter damit solange fahren, wie Benzin im Tank ist", weiß Kruse. Sollte es der Polizei doch noch gelingen, den Wagen ausfindig zu machen, sei es oft schwer für die Versicherung nachzuweisen, dass dieser geklaut wurde, da meistens keine Einbruchsspuren feststellbar sind.

Wirkliche Sicherungsalternativen für das Keyless Go-Systems gibt es derweil nicht. Sowohl speziell konstruierte Etuis wie auch der Alufolientrick, bei dem der Fahrzeugschlüssel eingewickelt wird, empfiehlt der ADAC aufgrund großer Fehleranfälligkeiten nicht. Das einzige Mittel, was effektiv hilft, wäre die Abschaltung des Systems. 

In der Bevölkerung ist man sich der Problematik nur teilweise bewusst, wie eine Straßenumfrage zeigt. "Bisher hat es sehr gut geklappt, da ich das Auto seit drei Jahren fahre und bislang nichts passiert ist. So einfach ist das nicht, hoffe ich mal", täuscht sich Kusai Haj. "Wenn professionelle Banden das knacken wollen, dann machen die das auch", befindet Joachim Kleine Rüschkamp. "Ich persönliche würde es nicht kaufen aus genau diesem Grund", meint Rene Lübcke. Und Bernhard Bruns weiß sich zu helfen: "Ich passe auf, dass der Schlüssel nicht so nah an der Wand ist und man das Signal dort abfangen kann."

Stefan Wagner hat die Bilder der Überwachungskameras auf Facebook geladen, um andere zu sensibilisieren. Über 17.400 Mal wurde sein Beitrag bereits geteilt. Wagner und sein Nachbar hatten in dieser Nacht Glück. Anders ein Audi Q5-Besitzer im 25 Kilometer entfernten Helmstedt. In der gleichen Nacht waren sehr wahrscheinlich auch bei ihm Autoknacker aktiv und erfolgreich. Sie schafften es das Keyless Go-System zu überwinden und klauten den hochwertigen SUV. Und dabei sollte es nicht bleiben: zwei Tage später, in der Nacht auf Mittwoch, 7. Dezember, versuchten mit hoher Wahrscheinlichkeit die gleichen Täter im 90 Kilometer entfernten Landkreis Hameln-Pyrmont erneut, ein Fahrzeug über ein abgegriffenes Funksignal zu stehlen (siehe Link).


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